Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen – über Resilienz

Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen – über Resilienz


Tief verwurzelt zu sein wie ein Baum, der von den Stürmen des Lebens zwar gebogen wird, aber danach wieder aufrecht steht als wäre nichts gewesen: Das ist es doch, was wir uns für uns und unsere Kinder wünschen, oder? Diese Art der Verwurzelung wird in der Medizin und Psychologie Resilienz genannt. Da das Stichwort momentan häufig und in unterschiedlichsten Kontexten fällt, wollte ich gern einen Beitrag dazu verfassen.


Resilienz ist psychische Widerstandfähigkeit. Sie ist der Gegenpol der Verwundbarkeit (‚Vulnerabilität‘). Resilient sein bedeutet allerdings nicht, sich nichts mehr zu Herzen zu nehmen. Vielmehr geht es darum, wie schnell man nach einer Krise wieder in den Ausgangszustand zurückfindet. Das Wort Resilienz kommt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie „abprallen“. Man kann sich das also vorstellen wie ein Trampolin: Je elastischer das Trampolin ist, desto schneller und höher prallt alles was darauf landet (Probleme, Stress, Krisen) daran ab. Auf einer nicht-elastischen Fläche bleibt es liegen und muss Stück für Stück unter großer Anstrengung weggetragen werden.

Wie die Federn des Trampolins

Resilienz besteht aus verschiedenen Faktoren – wie ein Trampolin von vielen Federn gehalten wird. Im Folgenden möchte ich einige wichtige aufführen und wie resilientere und weniger-resiliente Menschen sich in diesen Punkten unterscheiden:
Selbstwahrnehmung: „Ich kenne meine Stärken und Fähigkeiten und weiß sie einzusetzen“ vs. „Ich weiß eigentlich nicht, was ich kann.“
Selbstwirksamkeitserleben: „Ich kann aktiv Einfluss auf mein Leben nehmen“ vs. „Alles geschieht mit mir“
Selbststeuerung: „Ich spüre ob ich wütend, traurig, hilflos, … bin und weiß, was ich dagegen machen kann“ vs. „Ich bin meinen negativen Gefühlen und der Reaktion darauf ausgeliefert“
Soziale Kompetenz: „Ich werde geliebt und habe ein stabiles soziales Umfeld, das ich um Hilfe bitten kann“ vs. „Ich habe niemanden, den ich um Hilfe bitten kann“
Umgang mit Stress: „Wenn es anstrengend wird, weiß ich trotzdem wie ich für mich sorgen kann“ vs. „Ich verliere in anstrengenden Zeiten den Kopf und die Nerven“
Problemlösefähigkeit: „Ich weiß meine Fähigkeiten zur Lösung eines Problems einzusetzen“ vs. „Ich fühle mich hilflos, wenn ein Problem auftritt“
Sinnhaftigkeit: „Ich sehe einen Sinn im Leben und in dem, was ich tue“ vs. „Ich weiß eigentlich gar nicht, wozu ich hier bin“
Ganzheitlichkeit: „Ich bin Teil eines großen Ganzen/einer Gemeinschaft“ vs. „Ich stehe für mich ganz allein“


Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, mach Limonade draus!

Eine wichtige Rolle spielen bei der Resilienz auch Faktoren, die den Bewertungsstil wiederspiegeln. Wenn ein Problem auftritt – wie stufe ich es ein? Auch hier unterscheiden sich resilientere von weniger-resilienten Personen:
Akzeptanz: „Manche Dinge sind wie sie sind und ich nehme sie an bzw. kann meine Einstellung dazu verändern“ vs. „Ich kann damit nicht leben, kann es aber auch nicht ändern“
Optimismus: „Jedes Problem ist eine Chance zur Entwicklung“ vs. „War ja klar, dass ich schon wieder ein Problem habe“
Verantwortung: „Ich bin für meine Gefühle, Gedanken, Handlungen und die Folgen daraus verantwortlich“ vs. „XYZ war wieder böse zu mir, jetzt geht es mir schlecht“
Zukunftsorientierung: „Ich sehe die Möglichkeiten in meinem Leben und habe realistische Ziele“ vs. „Es wird sowieso alles nur schlimmer und ich werde nichts erreichen“

Ist Resilienz angeboren?

Ja und Nein. Man könnte sagen Resilienz ist eine Art Superkraft. Und wie es bei Superkräften meistens ist, sind sie zwar bereits vorhanden, trotzdem kann man lernen, sie zu stärken und richtig einzusetzen. Wie immer ist es am einfachsten etwas als Kind zu lernen. Menschen die diese besonderen ‚Abwehrkräfte‘ nicht als Kinder oder Jugendliche aufbauen konnten, können sie aber dennoch Zeit ihres Lebens stärken.


Den Regler in die Hand nehmen

Man kann sich vorstellen, dass sich alle der oben genannten Faktoren auf einer Skala von 0 (‚Ich sitze wochenlang in meinem Sorgenloch‘) bis 10 (‚aufstehen, Krönchen richten, weitergehen‘) bewegen. Natürlich hat jeder einen anderen Ausgangspunkt. Den Regler dieser Skala hat aber jeder selbst in der Hand. Man geht davon aus, dass Kinder ihre Resilienz stärken indem sie Herausforderungen selbstständig meistern. Das bedeutet auch, dass Eltern (oder Yogalehrer) Ihnen nicht alle Probleme aus dem Weg räumen. Vielmehr sollte Kindern der Raum gegeben werden, dies selbst zu tun. Die Erfahrung zu machen, Verantwortung für Ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen zu übernehmen hilft bei der Entwicklung von Resilienz.

Resilienz fördern – Anregungen für den Yogaunterricht

Im Folgenden möchte ich ein paar Übungen vorstellen, die zur Förderung der Resilienz beitragen können. Sie lassen sich gut in jede Yogastunde einbauen. Die kurzen Anleitungsbeispiele sind altersentsprechend je nach Lust und Laune anpassbar.


Beispiele für Kinder

Kinder sind sehr stark im Hier und Jetzt verankert. Dennoch haben auch die kleinen schon ihre Sorgen, Ängste und Probleme. Einfache Techniken und das Heranführen an bestimmte Übungen können die Resilienz fördern.
Bauchatmung: Lege Dich auf den Rücken und legen die Hände oder ein Stofftier auf den Bauch. Atme ein bis ich bis vier gezählt habe und atme wieder aus bis ich bis vier gezählt habe. Versuche dabei tief in Deinen Bauch einzuatmen, sodass sich Deine Hänge oder das Stofftier bewegen.
Ein fest verwurzelter Baum: Ein Kind stellt sich auf der Matte in ihre/seine Variante des Baumes, jeder kommt mal dran. Ihr anderen dürft um den Baum herumlaufen und versuchen, sie/ihn mit Wörtern abzulenken, auch ein bisschen anzupusten. Der Baum versucht sich darauf zu konzentrieren, fest verwurzelt stehen zu bleiben und sich von nichts und niemandem ablenken zu lassen.
Dankbarkeitspraxis: Setzt Euch in den Kreis. Wir wollen gemeinsam überlegen, wofür wir heute dankbar sind. Wenn Du möchtest, darfst Du es laut sagen. Ich bin z.B. dankbar dafür, dass ihr heute mit mir hier Yoga gemacht habt. Wenn Du etwas gefunden hast, wofür Du heute dankbar bist, denk ganz fest daran. Schließ wenn Du möchtest die Augen und wir nehmen drei tiefe Atemzüge.
Meditation der Liebenden Güte (Metta) – Variation für Kinder: Setzt Euch im Kreis, legt eine Hand aufs Herz und schließt wenn ihr möchtet die Augen. Ich schlage jetzt die Klangschale an. Beim ersten Klang schicke ich Euch meine Liebe, versucht mal zu spüren ob ihr das wahrnehmt. Beim nächsten Klang stellt ihr Euch vor, wie ihr Euch selbst ganz viel Liebe schickt. Beim nächsten Klang stellt Ihr Euch vor, wie Ihr Eure Liebe zu Eurem Nachbarn im Kreis schickt. Beim nächsten Klang stellt ihr Euch vor, wie ihr Eure Liebe zu Euren Familien schickt.

Beispiele für Jugendliche

Jugendliche sind in einer anderen Phase ihres Lebens, haben andere Themen und sind schon viel mehr im Außen als Kinder. Hier sind zur Stärkung der Resilienz auch Gesprächskreise zu Anfang der Stunde denkbar, Motivation zu digitalem Detox und sogar ein wenig über den Sinn des Lebens zu philosophieren:
Body Scan: Lege Dich ausgestreckt auf Deine Matte. Schließe nun, wenn Du möchtest die Augen und schicke Deine Aufmerksamkeit durch Deinen ganzen Körper. Du nimmst Deine Zehen wahr, Deine Füße, Deine Unterschenkel, […]
Wurzelmeditation: Setzt Euch im Kreis auf Eure Matten. Wen Du möchtest, schließ die Augen. Stell Dir vor, dass von Deiner Wirbelsäule aus Wurzeln tief in die Erde hineinwachsen. Die Erde nährt Dich und trägt Dich.
Emotionen wahrnehmen: Schließe die Augen und spüre, welche Emotion momentan in Dir vorherrscht. Spüre ganz genau, wie sie sich anfühlt, wo sie sitzt. Lass sie erstmal einfach da sein. Vielleicht hat sie eine Farbe. Wenn die Emotion unangenehm ist, kannst Du Dir vorstellen, wie die Farbe nach und nach blasser wird und die Emotion nach und nach schwächer.
Meditation der liebenden Güte (Metta) – Variation für Jugendliche: Setzt Euch im Kreis auf Eure Matten. Schließt die Augen. Wir sprechen im Geist miteinander folge Sätze nacheinander: Möge ich glücklich sein. Möge ich sicher und geborgen sein, möge ich gesund sein, möge ich frei sein – (Pause) – mögest Du glücklich sein, mögest Du sicher und geborgen sein, mögest Du gesund sein – mögest Du frei sein – (Pause) – mögen alle Menschen glücklich sein, mögen alle Menschen sicher und geborgen sein, mögen alle Menschen gesund sein, mögen alle Menschen frei sein.

Asanas zur Stärkung der Wurzeln

Zu guter Letzt noch ein paar Asanas, die Erdung und Verwurzelung fördern:
Der Baum (Vrikshana), Wirkung: Selbstbestimmtheit, Zielorientiertheit, Stabilität
Der Adler (Garudasana); Wirkung: Zentrierung, ‚Herr über sein Leben sein‘
Das Boot (Navasana): Wirkung: Willen und Durchhaltevermögen stärken
Der Stuhl (Utkatasana): Wirkung: Entschlossenheit, Durchhaltevermögen

Wie Ihr vielleicht gemerkt habt, fördern wir im Yoga mit ganz vielen Übungen ohnehin das, was fachlich als Resilienz bezeichnet wird. Und am Ende ist es wie immer auch gar nicht so wichtig wie man es nennt. Ich wünsche Euch viel Spaß dabei, weiterhin die Wurzeln Eurer fürs Leben zu stärken. Was für eine wunderbare Aufgabe! Und möchte mit einem wunderbaren asiatischen Sprichwort schließen: „Wenn die Wurzeln tief gehen, gibt es keinen Grund, den Wind zu fürchten.“

Links/Literatur:

https://rubbelbatz.de/resilienz-bei-kindern-foerdern/
https://www.familiii.at/resilienz-kinder-foerdern-uebungen/
https://www.familiii.at/resilienz-ist-die-faehigkeit-krisen-zu-bewaeltigen/
http://resilienzzentrum.at/
https://www.achtsamkeits-akademie.at/
https://achtsamkeit.univie.ac.at/projekt-achtsame-schule/
https://www.arbor-seminare.de/
Matthew Johnstone https://www.kunstmann.de/buch/matthew_johnstone_-resilienz-9783956140662/t-0/

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